Kannst du dir selber verzeihen? „Nein“, sagst du. „Warum?“ frage ich. Warum sind wir oft viel strenger mit uns selber als mit anderen?
Verurteilung und Schuld
Oft kommt dann die Antwort: „Ich fühle mich schuldig“. „Wofür?“ frage ich. „Ich weiss nicht, das ist einfach ein Gefühl. Egal, was ich tue, ich fühle mich schuldig. Schuldig, wenn ich etwas für mich alleine machen möchte. Schuldig, wenn ich etwas nicht tue, das von mir erwartet wird, oder ich meine, dass es erwartet wird. Schuldig, wenn ich nicht da bin, wenn mich jemand braucht und schuldig, wenn meine Tochter gehänselt wird. Schuldig, wenn ich nicht jede Woche mindestens einmal meine Mutter anrufe und schuldig, wenn ich heimlich froh bin, dass mein Sohn endlich auszieht.“ Diese ‚Ich bin Schuld‘-Liste ist bei vielen von uns unendlich lang.
Kompensation von Schuld in vielen Varianten
Wir fordern dann noch mehr von uns, lassen keine Schwäche und auf gar keinen Fall einen Fehler zu. Das kleinste Nicht-Perfekt-Sein führt zu einer knallharten inneren Verurteilung und ist schlichtweg unverzeihlich. All dies in der Hoffnung, dieses Schuldgefühl irgendwie kompensieren zu können.
Diese tief liegenden Schuldgefühle treiben uns an und laugen uns aus. Sie rauben uns die Freude und Leichtigkeit, die wir im Leben so dringend brauchen. Der Ursprung dieser Schuldgefühle bleibt uns dabei oft verborgen.
Wir fühlen uns schuldig, können uns nicht verzeihen und das echte Versöhnen mit uns selber bleibt dann sowieso aus.
Tiefenemotionale Arbeit – Die hohe Kunst
Abhängig davon, wie stark uns diese Gefühle gefangen halten, ist es notwendig, dass wir uns tiefenemotional damit auseinander setzen, um sie aufzulösen. Mit diesem Weg beschäftigen wir uns in diesem Blog nicht. Du kannst Hinweise dazu in meinem Blog Versöhnen- Ein energetischer Quantensprung nachlesen.
Verzeihen mit Perspektivenwechsel – Der einfachere Weg
Wenn du dich schuldig fühlst und dir selber nicht verzeihen kannst, dann überlege dir, wie du mit anderen Menschen umgehen würdest. Stell dir unter anderem die folgenden Fragen: wenn deine Mutter, dein Partner, deine Tochter oder eine Bekannte genau dasselbe getan hätte wie du,
- würdest du ihm/ihr dann verzeihen?
- Wenn ja, warum?
- Wenn nein, was würdest du von dieser Person erwarten?
- Warum ist diese Person wohl in diese Situation geraten?
- Was könnte sie für Probleme gehabt haben?
- Wie könnte sie sich gefühlt haben?
Wenn du dich in diese Person hineinversetzt, dann findest du allenfalls den Weg zum Herzen dieses Menschen. Und wenn immer wir zum Herzen eines Menschen finden, unser Herz für ihn öffnen und Verständnis fühlen können, dann sind wir auf dem besten Weg, ihm auch zu verzeihen.
Über diesen Umweg lernen wir die Situation und unser Handeln aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wir schaffen einen anderen Zugang zur Situation und sind emotional weniger involviert. Das führt zu Klärung und Verständnis.
In vielen Fällen hilft diese Methode, damit wir uns verzeihen können.
Zwei Mitstreiter in uns – Ein nächster Schritt
Du kannst dir zwar verzeihen, aber es nagt immer noch? Sprich, die Versöhnung klappt nicht? Dann stelle ich dir hier eine weitere Methode vor, die zum Ziel führen kann:
In 5 Schritten vom Verzeihen zum Versöhnen
- Stell dir vor, du bestündest aus zwei Teilen. Der Verurteilte, ist der Teil, der, was auch immer so unverzeihlich ist, gemacht hat und der Verurteilende ist der Teil, der nicht verzeihen kann.
- Du bist der Verurteilende. Fühle dich in den Verurteilten hinein. Öffne dein Herz und hör ihm gut zu.
- Nimm dir den Grundsatz zu Herzen: ‚Im Zweifelsfall für den Angeklagten‘.
- Stell dann ähnliche Fragen wie oben. Hör den Antworten zu und fühle, was diese in dir auslösen. Hier ein Auszug möglicher Fragen:
a. Wie fühlst du dich, lieber Verurteilter?
b. Was hat dich zu dieser Handlung (Nicht-Handlung etc.) getrieben?
c. Welches sind die Probleme, die auf dir lasten?
d. Woher kommt diese Wut?
e. Wovor hast du Angst?
- Selbstverständlich passt du die Fragen der jeweiligen Situation an. Wichtig ist, dass du in einen offenen Dialog mit dem Verurteilten trittst und dich für ihn und seine Belange interessierst. Du wirst sehen, dass du Verständnis für den Verurteilten entwickelst. Geh dann einen Schritt weiter und sei dir bewusst, dass ihr beide in der Situation gefangen seid und du als Verurteilender auch einen Teil zur Problemlösung beitragen kannst. Stell dann Fragen ähnlich den folgenden:
a. Wie kann ich dir helfen?
b. Was brauchst du, damit es dir besser geht? Damit dies nicht mehr geschieht?
Wenn du diesen Dialog ehrlich und tiefgründig genug führst wirst du spüren, dass der Verurteilte und der Verurteilende gegenseitig Verständnis entwickeln und nicht nur Verzeihen, sondern auch Versöhnen möglich ist.
Die nächsten Schritte
In meinem letzten Blog zu diesem Thema habe ich einige erste Schritte aufgezeigt, wie Versöhnung stattfinden oder zumindest eingeleitet werden kann.