Heutige Führungskräfte mit neuen Fragen konfrontiert
Die heutigen Führungskräfte leisten komplexe und anspruchsvolle Arbeit. Einerseits wird von ihnen gefordert, klare Direktiven zu geben, Ziele zu setzen und Mitarbeitende mit ihrem ganzen Geschick und Können zur Höchstleistung anzuspornen, um Projekte oder Unternehmen zu langfristigem Erfolg zu führen. Andererseits sehen sie sich immer öfters mit Frage- und Problemstellungen konfrontiert, die auf den ersten Blick nicht zu den alltäglichen Führungsaufgaben gehören, jedoch einen grossen Einfluss auf die Gesamtleistung haben können.
Mitarbeitende fragen zum Beispiel, wie sie eine verzweifelte Ehepartnerin beruhigen sollen, weil sie für mehrere Monate für eine Aufgabe ins Ausland entsandt werden. Oder ein Projektleiter kündigt über Nacht, da er dem Druck des Kunden nicht mehr standhalten kann. Unglücklicherweise hatte die Chefin den Eindruck, dass alles in bester Ordnung war. Ein anderer Mitarbeitender wiederum, der über ausserordentliche fachliche Fähigkeiten verfügt, verfällt immer mehr seinen Wutausbrüchen, welche ganze Teams zerrütten.
Was auf den ersten Blick nach Konfliktmanagement schreit, ist auf den zweiten Blick ein ernsthaftes Problem, das im privaten Bereich verwurzelt ist.
Zwei Reaktionsmöglichkeiten
In solchen Fällen hast du immer 2 Möglichkeiten:
- Du grenzt dich als Vorgesetzte(r) klar ab. Nimmst solche „Störungen“ zur Kenntnis und fährst mit der alltäglichen Führungsarbeit fort.
- Du erklärst dich bereit, diese Herausforderungen anzunehmen und startest ein Coaching.
Letzteres verlangt besondere Fähigkeiten. Tipps, Ratschläge oder Direktiven helfen nicht, um mit den Mitarbeitenden eine erfolgreiche Lösung zu erarbeiten. Oft bist du gefordert, tiefer an die Wurzel des Problems zu gehen.
Du bietest Hilfe zur Selbsthilfe, du befähigst die Mitarbeitenden Ressourcen und Potenziale zu aktivieren, um die Herausforderungen nachhaltig zu bewältigen. In diesem Fall löst du dich von der Rolle des Chefs oder der Chefin und begibst dich in eine Position des Geführten, du wirst zum Coach:
Die Mitarbeitenden entscheiden, ob sie sich dir anvertrauen und welche Ziele sie verfolgen; du nimmst vorerst nur wahr, hörst zu, fühlst dich in die Situation ein und bringst dann den „Coachee“ mit wirkungsvollen Interventionen auf den Pfad des Selbst-Bewusst-Werdens. Die Symbiose von Führung und Coaching ist äusserst anspruchsvoll. Dabei sollten einige Dinge beachtet werden.
9 Tipps für das Coaching als Führungskraft
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Prinzip der Freiwilligkeit
Coaching basiert immer auf Freiwilligkeit. Auch wenn du es dir als Vorgesetzte(r) gewohnt bist, klare Entscheide zu fällen und Ziele zu setzen, entscheidet der Mitarbeitende alleine, ob er oder sie sich dir anvertrauen möchte. Auch wenn du wahrnimmst, dass etwas nicht stimmt oder ein ernsthaftes Problem besteht, kannst du Mitarbeitende nicht zu einem „offenen“ Gespräch zwingen. Du musst dir die Offenheit verdienen, indem du Vertrauen aufbaust. In jedem Fall aber hast du das Recht, Probleme authentisch anzusprechen etwa durch „Ich nehme wahr, dass du ……“. Dies zeigt auch einem verschlossenen Gegenüber, dass du dich ernsthaft für ihn interessierst.
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Wahrnehmung, Offenheit und Vertrauen
Dies sind die 3 grossen Voraussetzungen, damit ein Coaching erfolgreich ist. Viele Vorgesetzte haben Mühe, eine solide Basis des Vertrauens zu schaffen. Authentizität, Transparenz, Informationen weitergeben, kommunizieren und Fragen stellen helfen. Chefs fragen mich oft: weshalb sind die Mitarbeitenden nicht offener. Kein Wunder, wenn ihre Türe den ganzen Tag verschlossen ist. Öffne dich zuerst, dann deine Türe und die Mitarbeitenden werden sich ebenfalls öffnen. Verbring einen Grossteil deiner Zeit mit deinen Mitarbeitenden. Das ist dein Job als Führungskraft und es schärft deine Wahrnehmung.
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Nach dem wahren Problem fischen
Angenommen ein Mitarbeitender sucht das offene Gespräch und deinen Rat für ein schwerwiegendes, gar privates Problem. Oft denkt der Coachee, er oder sie kennt das Problem. Doch im Verlauf eines ersten Gesprächs kristallisiert sich oft ein ganz anderes Problem heraus. Begib dich auf eine „Fishing Expedition“. Deine Aufgabe ist es, mit offenen Fragen (wo, wer, wie, weshalb, warum) einerseits herauszufinden, wo der Kern des Problems liegt, andererseits den Coachee bereits auf die Spur der Selbsterkenntnis zu bringen. Fragen sind gleichzeitig eine der besten Interventionsmöglichkeiten.
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Never push the river und das Vakuum der Stille
Viele Führungskräfte sind es sich gewohnt, eloquent zu argumentieren, zu präsentieren und bestimmt aufzutreten. Da fällt es oft schwer, die Rolle des Zuhörers zu übernehmen. Lass dein Gegenüber sprechen und zwar so lange bis Stille herrscht. Auch dann warte getrost noch 1 bis 2 Minuten, oft kommen dann erst die wahren Erkenntnisse. Viel zu oft unterbrechen wir den Fluss der Konversation und halten es in der Stille nicht aus. Hab den Mut, genau diese Stille zuzulassen.
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Vertraulichkeit
Was in Coachings gesprochen wird, unterliegt der Schweigepflicht. Du hast hart daran gearbeitet das Vertrauen des Gegenübers zu gewinnen. Auch wenn du als Vorgesetzte(r) den Handlungsbedarf siehst, Dritte zu informieren, bedarf es der Einwilligung deines Mitarbeitenden. Ansonsten läufst du Gefahr das Vertrauen auf einen Schlag zu zerstören.
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Interventionen
Es gibt unzählige Interventionsmöglichkeiten im Coaching, welche spezieller Kenntnisse oder einer Ausbildung bedürfen. Vorgesetzte können jedoch sehr leicht einige wenige aber äusserst wirksame Interventionen ohne besondere Vorkenntnisse anwenden:
- die Fragetechnik gehört zu den einfachen aber wirksamen Methoden. Gute offene Fragen bringen oft wichtige Erkenntnisse und Lösungen.
- Perspektivenwechsel: Frage dein Gegenüber: „Was würde dein bester Freund zu dieser Situation sagen?“ oder aber fordere deinen Coachee auf, auf dem Chefsessel Platz zu nehmen.
- Lass ein Bild der Situation/Problems malen oder beschreiben.
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Das gute Gefühl
Unabhängig vom Ausgang eines ersten Gesprächs oder Folgegesprächs solltest du immer dafür sorgen, dass du deinen Mitarbeitenden mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch verabschiedest.
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Gesprächsführung und Massnahmen
Ein Gespräch sollte max. 2 Stunden dauern. Für eine wirkungsvolle „Fishing Expedition“ benötigst du mind. 45 bis 60 Minuten. Setze Ziele und lege Massnahmen für ein Folgegespräch fest.
Wenn du Feedback geben willst, beachte folgende Regeln:
- sachlich, auf den Punkt gebracht
- unmittelbar (schnell reagieren)
- Ich-Botschaften senden
- Sichtweise des Gegenübers abholen
- Optionen für Massnahmen erarbeiten
- Massnahmen und Ziele festlegen
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Verantwortung
Gewisse Herausforderungen können von Vorgesetzten im Rahmen eines Coachings nicht gelöst werden bzw. wären gar verantwortungslos. Alkohol-, Drogenprobleme oder Gesundheitsfragen bedürfen unbedingt professioneller Hilfe.