Ein heisser Sommertag im Juli. Ich stehe stramm vor unserem Haus auf dem Platz. In der rechten Hand halte ich locker eine Leine, dicht hinter mir folgt einer meiner besten Freunde. Mit seinen knapp 170 Zentimetern Stockmass bringt er gute 500 Kilogramm Gewicht auf die Waage. Mein Ziel: Rasco, einen ausgewachsenen Wallach, in einen gedeckten Waschplatz zu führen um ihm mit dem kühlen Nass etwas Erfrischung zu bringen. Pferde sind Fluchttiere und bauen auf Vertrauen. Deshalb gehören sie zu den besten Lehrern, wenn es darum geht, echtes Selbst-Vertrauen zu leben. Rollen zu spielen bringt hier gar nichts. Innerhalb von Bruchteilen von Sekunden wird man durchleuchtet und enttarnt, wenn man versucht, etwas anderes vorzugeben, als das, was man ist oder wirklich fühlt.
Obwohl ich die Macht dieses wunderbaren Spiegels kenne, mache ich mir dennoch immer noch oft etwas vor und versuche, die Wahrheit zu verleugnen – oder erkenne sie erst gar nicht. So auch an diesem Tag. Ich bewege mich entschlossen auf den Waschplatz zu, halte das Ziel im Fokus und wage es nicht, auch nur kurz zurückzublicken. Dann ein kurzer Ruck an der Leine und der stramme Koloss hinter mir steht. Meine Angst, ihn nicht in den Waschplatz führen zu können, wie es mir schon viele Male passiert ist, führt auch dieses Mal zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Ich drehe mich um, schaue Rasco tief in die Augen, versuche ihm liebevoll zuzureden. Nach bereits wenigen Minuten wandelt sich meine Freundlichkeit in Wut, dann in Frustration. Ich ziehe an der Leine, baue vermehrten Druck auf. Erfolglos. Versuch mal 500 Kilogramm zu bewegen. Da helfen auch keine Bestechungsversuche mit Leckereien.
Einfach loslassen
Wenn die innere Überzeugung nicht stimmt, und man mit Druck versucht, etwas zu erzwingen, dann kann man nur scheitern. Verzweifelt setze ich mich in den Schatten des Waschplatzes und schaue das grosse Tier an. Welch schönes Wunder der Natur, denke ich. Doch auch das kann mich nicht über mein Versagen hinweg trösten. Verzweiflung, Scham. Dann beginne ich, die Situation zu reflektieren und lasse den inneren Druck los. Genau in diesem Moment betritt Rasco den Waschplatz, steht ruhig da und schaut mich an: „Ich bin für eine wohlverdiente Abkühlung bereit“, gibt er mir zu verstehen. Ich kriege Gänsehaut und meine Freude ist unbeschreiblich. Nicht etwa weil ich mein Ziel erreicht habe, sondern vielmehr weil ich einmal mehr das, was ich doch schon lange weiss, sehr direkt und eindrücklich erfahren habe:
Loslassen kann Grosses bewegen.